Wege aus der Abhängigkeit (Schaaf/Sträuli, 1996)

Psychotherapie und psychologische Beratung von Sektenbetroffenen und ihren Angehörigen

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von Susanne Schaaf und Dieter Sträuli


Einleitung

Die Abhängigkeit von Sekten hat verschiedene Gesichter. Wie zeigt sich dieses Phänomen aber in der psychologischen Beratungspraxis? Mit welchen Schwierigkeiten hat der Psychologe, die Therapeutin zu rechnen? Welche Möglichkeiten gibt es, Betroffene und deren Angehörige zu unterstützen? Kenntnisse über die Dynamik eines Sektensystems und dessen Funktionieren sind eine wichtige Grundlage für die Begleitung des Autonomie- und Ausstiegsprozesses des Betroffenen.

Sekten haben Konjunktur

Sekten sind seit längerer Zeit ein Dauerthema in den Medien. Als nicht direkt betroffene Leser und Leserinnen reagieren wir auf solche Artikel je nachdem besorgt, fasziniert oder auch verärgert. Gravierender ist es, wenn Familienangehörige oder Partner von uns in die Abhängigkeit einer Sekte geraten, sich in ihrer Persönlichkeit zusehends wandeln und die Kommunikation mit uns mehr und mehr verweigern. Sekten verändern das Leben all jener von Grund auf, die freiwillig oder unfreiwillig mit ihnen zu tun haben.

Sekten können auch faszinieren. Hinter jedem anziehenden Aspekt der Sekten kann ein Mangel in unserer Lebenswirklichkeit lokalisiert werden: Das intensive Gemeinschaftserlebnis in Glaubensgemeinschaften spricht für eine Vereinsamung des einzelnen gerade in Großstädten; die oft absurden Weltbilder und kosmologischen Ideensysteme zeugen davon, daß die Ergebnisse der Naturwissenschaften für uns Laien immer weniger anschaulich und nachvollziehbar sind. Die Beschreibungen von Astronomie und Physik relativieren die Bedeutung des Menschengeschlechts mehr und mehr: Sekten dagegen vermitteln ihren Anhängern das Gefühl, ursächlich in ein Geschehen von kosmischem Ausmaß involviert zu sein. Die sprichwörtliche Abhängigkeit der Sektenmitglieder von ihren Gurus und Prophetinnen sind ein Zeichen für die Halt- und Orientierungslosigkeit, für fehlende Beheimatung. Und die starke Ausbreitung der Esoterik zeigt, daß magisches Denken - d.h. kindliches Wunschdenken - für viele mehr Hilfe verspricht als klare Situationsanalysen, und dies in einer Zeit, in der Probleme ohne Lösungen in immer rascherer Folge über uns hereinbrechen. Daher ist auch eine verstärkte Aktivität mancher Sekten und dubioser Gemeinschaften im Therapie-, Beratungs- und Lebenshilfe-Markt zu beobachten. (Auf diesen Aspekt des Problems können wir hier aus Platzgründen nicht eingehen.)

Oft sind es positive Impulse, die einen Menschen dazu bringen, sich auf die Begegnung mit einer sektenhaften Gemeinschaft einzulassen: Neugier, die Lust, aus dem alten Trott auszubrechen, der Wunsch, Neuland zu betreten, eine Wende im eigenen Leben herbeizuführen. Endlich etwas tun gegen das Elend in der Welt, die eigenen Ressourcen aktivieren, nicht mehr tatenlos zusehen. Gemeinsam sind wir stark, sich selber finden, kein Feigling sein, nicht zurückstehen, wo andere ihren Idealen folgen und sich von ganzem Herzen für eine gute Sache einsetzen. Nur: Sich der Sehnsucht nach einer besseren Welt hinzugeben und gleichzeitig Vernunft und kritische Fähigkeiten auszuschalten, kann fatale Folgen haben.

Wenn wir denken: "Mir könnte das nicht passieren, wieso fallen Menschen überhaupt auf derartigen Unsinn herein?" machen wir zwei Fehler: Wir stellen uns immer eine Gruppe vor, die uns selber nicht fasziniert, und wir unterschätzen die Wirksamkeit von Manipulationstechniken. In der Literatur ist denn auch vielmehr von situativen Vorbedingungen wie persönlichen , beruflichen Krisen, Sinnkrisen u.a. die Rede, die einer Sekte das Rekrutieren neuer Mitglieder erleichtern, und weniger von "Dispositionen eines typischen Sektenmitglieds".

Die Zahl der Sektenangehörigen oder AusteigerInnen unter den KlientInnen psychologischer und psychotherapeutischer Praxen ist im Steigen begriffen. Deren Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft mit totalitärem Anspruch wird den Therapieverlauf entscheidend prägen und den Therapeuten bzw. die Therapeutin vor spezifische Probleme stellen.

Die Sektenthematik in der psychologischen Praxis

Vielfältig sind die Situationen, in denen Psychotherapeut und Psychologin in ihrer Praxis mit dem Thema konfrontiert werden können:

  • Ein Kind mit starkem schulischem Leistungsabfall sucht die Schulpsychologin auf, welche in der Befragung erfährt, daß die Eltern des Kindes Zeugen Jehovas sind.
  • Ein Mann beginnt mit seiner Frau eine Paartherapie, weil die Beziehung zunehmend darunter leidet, daß die Frau mehr und mehr Zeit mit einem Guru verbringt. Dieser behauptet von sich, von Außerirdischen zu deren Botschafter auf Erden ernannt worden zu sein und garantiert seinen Anhängern ein Überleben bei der Weltend-Katastrophe.
  • Eine Körpertherapeutin erfährt von einer Klientin, daß diese, offenbar unter dem Eindruck der starken und aufwühlenden Gefühlserlebnisse in der Therapie, nun auch die Sitzungen einer "spirituellen Glaubensgemeinschaft" besucht. Die Klientin gerät zusehends in den Einfluß der Gruppe.
  • Verzweifelte Eltern suchen einen ihnen bekannten Psychologen mit der expliziten Bitte auf, ihr Kind "aus den Fängen einer Sekte zu befreien".

Zwei Faktoren prägen demnach die Problemsituationen, die auf einen Psychotherapeuten oder eine Psychologin zukommen können:
Der therapeutische oder beratende Kontakt kann in verschiedenen Phasen einer Sektenzugehörigkeit erfolgen: Die Psychologin kann es mit Menschen zu tun haben, die gegenwärtig in Kontakt mit einer Sekte stehen, bereits Mitglied in einer Gruppe sind, oder mit ehemaligen Mitgliedern, die ihre Erfahrung nachträglich verarbeiten möchten. Dementsprechend ist auch die Bereitschaft der Klienten, sich mit dieser Abhängigkeit auseinanderzusetzen, unterschiedlich.
Die Therapeuten können es mit Menschen zu tun haben, die in verschiedenem Grad von einem Sektenproblem betroffen sind: es kann sich um einen Kontakt mit dem aktiven oder ehemaligen Mitglied selbst handeln oder aber um eine Beratung oder Therapie von Familienangehörigen bzw. Lebenspartnern eines Sektenmitglieds (Ko-Abhängige). In selteneren Fällen haben Psychologen und Therapeutinnen auch direkt mit einer Sekte, d.h. mit der ganzen Organisation zu tun.

Themen für PsychotherapeutInnen

Der Klient oder die Klientin ist während der Therapie die ganze Zeit über mit ihrer Erfahrung in der Gruppe beschäftigt. Es bleiben wenig Zeit und Energie, die Aufmerksamkeit auf typische Verhaltensweisen der KlientIn zu richten, um an diesen ihren Umgang mit Konflikten zu analysieren.

Die Indoktrination durch die Gruppe, der die Klientin ausgesetzt ist, fungiert als eine Art kollektives Abwehrsystem, welches Veränderungen im Verhältnis des Subjekts zu seiner Lebenswirklichkeit einschränkt: mehr echte Autonomie ist verboten, Abhängigkeit und Eingebundensein in die Gruppe erwünscht. Der Therapeut findet sich dem Druck einer ganzen Gruppe ausgesetzt und ist versucht, Gegendruck auszuüben.

Die Therapeutin ist mit psychologischen Beeinflussungstechniken konfrontiert, die den üblichen therapeutischen Techniken und Grundregeln oft derart zuwiderlaufen, daß sie sie unter Umständen gar nicht wahrnimmt. Wo zum Beispiel die Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers von Therapeuten Wertschätzung, Echtheit und Empathie im Umgang mit Klienten fordert, arbeiten sektenartige Gruppen mit "Zuckerbrot und Peitsche", mit Manipulations- und Suggestionstechniken.

Manche der fraglichen Gruppen huldigen einer Ideologie, die dem Welt- und Menschenbild, wie es den meisten Psychotherapien zugrundeliegt, entgegenläuft. Letztere sehen den Klienten als ein Wesen, das lernen sollte, autonom zu handeln, ethische Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen und diesem Handeln auch einen eigenen Sinn zu geben. Die erwähnten Gruppen versprechen dagegen "Kontrolle über Geist und Materie", "Sieg des Guten über das Böse", "Vereinigung mit dem Kosmos" etc. und stellen Gehorsam, Hingabe an die Gruppenziele und das Aufgehen in etwas Übermenschlichem als Werte und Lebensziele über jegliche Individualität und Autonomie. Gewißheit wird versprochen, das Rezept wirke schnell und allseitig.

Wie erwähnt impfen verschiedene Sekten ihren Anhängern eine Psychiatrie- und Psychologiefeindlichkeit ein, eine Aversion gegen professionelle Hilfe durch Außenstehende. Als Therapeut und Psychologin über diese Hintergründe informiert zu sein ist wichtig, um allfällige Blockaden und Reaktionen verstehen zu können, sie im richtigen Kontext zu sehen.

Therapeutin und Psychologe sehen sich einer spezifischen Rhetorik gegenüber, die ein freies Gespräch sehr erschwert. Sektenanhänger führen einen ständigen "Meisterdiskurs", der keine Zweifel und keinen Widerspruch zuläßt. Eine Psychoanalyse z.B. wäre theoretisch daraufhin angelegt, einen solchen Meisterdiskurs mit der Zeit leerlaufen zu lassen, damit ein anderes Sprechen möglich wird. Das wird aber dann zu einem Ding der Unmöglichkeit, wenn außerhalb der Therapie eine Organisation alles daran setzt, gerade dies nicht geschehen zu lassen. Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Therapeutin und Klient können auch deshalb zu Mißverständnissen führen, weil in den meisten Sekten Begriffe eine neue Bedeutung erhalten, "redefiniert" werden (z.B. Offenheit, Freiheit, Ethik).

Wer sich auf die Sektenthematik einläßt, läuft Gefahr, eine komplementäre Paranoia zu entwickeln. Nicht bei jedem Sektenmitglied steckt hinter der Maske von Heiligkeit das Gesicht eines berechnenden Manipulators. Manche Sektenmitglieder folgen bei der Anwerbung und Kontrolle anderer Mitglieder einfach ihrem Mutterwitz und einer Alltagspsychologie - was den erwähnten Techniken allerdings nichts von ihrer Wirksamkeit nimmt.

In der Beratung und Betreuung von Angehörigen Sektenbetroffener kommt noch eine weitere Schwierigkeit hinzu. Zum einen geht es darum, mit der betreffenden Person eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, um die Loslösung des Mitgliedes aus der Sekte zu unterstützen. Zum andern geht es aber auch darum, daß der indirekt Betroffene lernt, für sich Wege zu finden, mit der Sektenabhängigkeit des Sohnes, der Partnerin zu leben. Wichtig ist, mit den Betroffenen an ihrem Problem zu arbeiten, ohne sie zu pathologisieren und ihnen die Schuld an der Abhängigkeit des andern zuzuweisen.

Ausstiegsberatung - Ausstieg als Prozeß

>Über die Legitimation von Ausstiegsberatung werden immer noch ideologische Auseinandersetzungen geführt: Soll Sektenzugehörigkeit als freie Wahl der religiösen Beheimatung betrachtet werden oder ist sie das Resultat von Manipulation und emotionaler Ausbeutung? Im ersten Fall erübrigt sich jegliche Ausstiegsberatung, gefordert wird "Toleranz". Im zweiten Fall ist Ausstiegsberatung durchaus ein Thema: sie ist gerechtfertigt - so unsere Position -, wenn der Eintritt mittels Einstiegstechniken forciert wurde.

Wesentliches Merkmal des Ausstieges, geschehe er aus eigener Kraft oder mit Ausstiegsbegleitung, ist seine Prozeßhaftigkeit. Ausstieg aus der Sekte ist keine Spontanentscheidung. Das Mitglied grenzt sich schrittweise von zahlreichen Teilen seines Lebens ab: von der Gruppe, der Ideologie, vom Lebensinhalt, der Tagesstruktur, vom speziellen "Sektendenken" und "-fühlen", von der eigentlichen "Sektenidentität". Der Ausstieg ist begleitet von einem Wechselbad der Gefühle. Neben einem immensen Befreiungsgefühl, das sich durchaus auch körperlich äußern kann ("Wie wenn eine schwere Platte von meiner Brust weggefallen wäre!") erlebt der Aussteiger auch immer wieder Zweifel, Ängste, Schuldgefühle: Zweifel, ob Reverend Mun von der Vereinigungskirche nicht doch der Messias, der wahre Vater ist; Ängste, ob man durch den Austritt nicht vielleicht doch zu den Verdammten gehört, die bei der letzten Entscheidungschlacht untergehen; Schuldgefühle, weil man seine "Geschwister" verrät und sie bei der großen Mission der Welterrettung im Stich läßt. Dieses Hin-und-Her-Schweben zwischen den beiden Realitäten während der Ausstiegsphase nennt man "Floating".

Für PsychotherapeutInnen stellt sich die Frage, in welcher Form sie den Lösungs- und Emanzipationsprozeß des Noch-Mitgliedes überhaupt unterstützen wollen und können. Für eine wirksame Intervention muß ein Minimum an Motivation, Leidensdruck, Offenheit und persönlicher Betroffenheit auf seiten des Ausstiegswilligen vorausgesetzt werden können. Gewisse Grundkenntnisse der TherapeutInnen über die Sektendynamik scheinen uns notwendig, spezifische Kenntnisse über die involvierte Gruppe sehr hilfreich.

Motive für eine beginnende Ablösung

Bei der Unterstützung des Emanzipationsprozesses ist es für den Therapeuten, für die Psychologin wichtig, sowohl die Eintritts- als auch die Austrittsmotive des Klienten, der Klientin herauszukristallisieren. In der Literatur finden sich folgende Punkte, auf die der Psychologe, die Therapeutin auch gezielt hinarbeiten kann, und die für Ausstiegswillige die Plausibilität des Systems "Sekte" in Frage zu stellen vermögen.

  • Zweifel an den (religiösen) Vorstellungen und den darauf basierenden Versprechungen der Sekte: das Mitglied ist z.B. enttäuscht, daß versprochene Veränderungen nicht eingetreten sind.
  • Zweifel am Sektengründer, z.B. tauchen Tatsachen über die Vergangenheit des Leiters, der Führerin auf, die seine/ ihre Unfehlbarkeit und den Führungsanspruch in Frage stellen.
  • Schwierigkeiten mit anderen Mitgliedern oder Funktionären: das Mitglied kann z.B. das widersprüchliche Verhalten der Führung nicht mehr mit der Gruppenideologie rechtfertigen, die "Dissonanzreduktion" funktioniert nicht mehr. Streitigkeiten in der Führungsspitze (wie z.B. bei der Divine Light Mission) können zu einer Legitimationskrise führen.
  • Psychische oder körperliche Probleme, die durch die Gruppenzugehörigkeit (mit)verursacht wurden: Z.B. können Gefühle der Angst, Schuld- und Versagensgefühle ein Ausmaß erreichen, das eine Änderung der Lebenssituation erzwingt.
  • Zusätzlich kann durch den Gedankenaustausch mit einfühlsamen Nicht-Mitgliedern oder mit Freunden innerhalb der Sekte eine Insel des kritischen Nachdenkens entstehen, die das Sektenangebot konkurriert.

BECKFORT (nach Wiesberger, 1990) unterscheidet drei Prototypen, wie sich der Ausstieg vollziehen kann:

  • Exiting: Es meint einen freiwilligen, ohne wesentliche Hilfe von außen vollzogenen Austritt, der öffentlich oder heimlich vor sich gehen kann. Der Psychotherapeut, die Psychologin begegnet hier einer Person, die sich bereits bis zu einem gewissen Grad von der Organisation distanziert hat und nun vor der Neuorientierung steht. Der Schwerpunkt der therapeutischen Arbeit liegt in dieser Phase darin, die Integration in die Welt außerhalb der Sekte zu fördern, eine Welt, die seit dem Austritt nicht automatisch an Attraktivität gewonnen hat, sondern oft als "das kleinere Übel" betrachtet wird. Ziel ist es, daß der Aussteiger über die Sektenperspektive hinauswachsen und einen neuen Lebensstil finden kann.
  • Expulsion: Das bedeutet, daß das Mitglied aus der Gruppe ausgeschlossen wird, z.B. wegen Krankheitsfall und Leistungsunfähigkeit, oder weil es durch eine illegale Aktivität, die an die Öffentlichkeit gelangte, dem Image der Organisation schadet und aus PR-Gründen abgeschoben wurde. Widerstand gegen die Autorität kann ebenfalls ein Ausschlußgrund sein. Mit Ausschluß reagieren die Gruppen, wenn die sekteninternen Strategien nicht greifen. Der unerwünschte Ausschluß kann für den Betroffenen immense Folgen haben. Die Aufgabe des Psychologen, der Therapeutin ist es hier, den Klienten darin zu unterstützen, Trauerarbeit zu leisten und mit dem Verlust umzugehen. Denn von einem Tag auf den anderen verliert der Ausgeschlossene seine "Familie", seine Freunde, die im Fall einer zufälligen Begegnung z.B. demonstrativ die Straßenseite wechseln. Er fällt aus seinem bisherigen Lebenskontext heraus ins Leere.
  • Extraction: meint, dass der Ausstiegsprozeß von außenstehenden Personen eingeleitet und/ oder begleitet wird, wobei zwischen auf Freiwilligkeit basierender Ausstiegsberatung und forciertem Deprogramming (z.T. unter Gewaltanwendung) unterscheidet. (Auf die Diskussion des Deprogramming soll hier nicht näher eingegangen werden. Wenn unter "Deprogramming" gewaltsame Glaubensaustreibung und Entführung verstanden wird, dann distanziert sich infoSekta entschieden von "Deprogramming".)

Für die PsychotherapeutInnen besteht die Möglichkeit, eine freiwillige Ausstiegsberatung anzubieten. Sie setzt etwas früher an als die Beratung und Begleitung der SelbstaussteigerInnen, da bestimmte Etappen im Ablösungsprozeß noch nicht erreicht sind.
Der Erfolg einer Intervention hängt u.a. von der Dauer der Zugehörigkeit ab. Fachleute empfehlen einerseits ein möglichst frühes Intervenieren (bereits in der Anwerbephase), da zu diesem Zeitpunkt das System "Sekte" noch nicht umfassend greift, oder aber ein eher spätes Eingreifen, da der anfängliche Enthusiasmus das Mitglied für Argumente unzugänglich mache.
Ein zweiter wesentlicher Faktor ist die Qualität und Tragfähigkeit des Beziehungsnetzes des Betroffenen außerhalb der Organisation. Es liegt daher oft im Interesse der Sekten, die Kontakte des Mitglieds zu Angehörigen und FreundInnen bewußt zu unterbinden. Es gehört zum Wesen einer Sektenmitgliedschaft, daß echte Beziehungen zu Außenstehenden nicht möglich sind. Ein einigermaßen tragfähiges soziales Netz, welches vor dem Eintritt in die Sekte existiert hat, kann aber vielleicht für die Ausstiegsbegleitung wieder aktiviert werden, wenn es dem Psychologen, der Therapeutin gelingt, diese sozialen Ressourcen zu suchen und gezielt einzusetzen.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß psychische und gruppendynamische Prozesse im Umfeld von Sekten eine sehr komplexe Angelegenheit sind. Sich auf diese Thematik einzulassen, bringt für den Psychologen und die Therapeutin ähnliche Probleme mit sich wie die Behandlung von Süchtigen, und wirft auch in ähnlicher Weise grundlegende Fragen auf. Vorgeschobene Argumenten wie Religionsfreiheit sollen uns aber nicht davon abhalten, in Fällen von emotionaler Ausbeutung und psychischer Manipulation zu handeln.

Appendix

Dieser Artikel erschien zuerst in "Psychoscope" Nr. 7/1995, Zeitschrift der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen FSP. Für diese Fassung wurde er leicht gekürzt und ist abgedruckt im infoSekta-Tätigkeitsbericht 1995, S. 13-19 zu finden.

© Mai 1996. Verein infoSekta.

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