Sekten-Prävention bei Jugendlichen (Lenzin/Schürer, 1998)

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von Esther Lenzin und Samuel Schürer


Gemeinsam mit der Suchtprävention...

...ist auch der Sekten-Prävention in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung zugemessen worden. Ausgehend von einem Postulat aus dem Gemeinderat vom Januar 1996 betreffend Aufklärung der Bevölkerung über Scientology/Dianetik beschäftigt sich seit ca. 1 1/2 Jahren eine Arbeitsgruppe, initiiert vom Schul- und Sportdepartement, mit dem Thema "Aufklärung und Prävention über die Sekten an den Volksschulen". Erste Klasseneinsätze sind Ende 1998 geplant.

Das infoSekta-Team bietet schon seit Jahren Aufklärungs- und Informations-Vorträge zum Thema Sekten an. Sie bestehen in der Regel aus einem Referat mit anschliessender Diskussion und dauern meistens einen halben Tag oder einen Abend. Ziel dieser Vorträge ist die Information über verschiedene Sekten und Gruppierungen, über ihre Anwerbungsmethoden und Manipulationstechniken, über ihre Praktiken und Ziele, über ihre Heilsversprechungen und Erlösungsrezepte.

Für viele Menschen ist es aber immer noch unverständlich, wie oder warum jemand in die Abhängigkeit einer Sekte geraten kann. Für die meisten ist es klar, dass das nur anderen, z.B. sogenannt labilen Leuten passieren kann - aber bestimmt nie ihnen selbst.

An diesem Punkt setzt die Präventionsarbeit an. Ziel der Prävention ist, neben Aufklärung und Information, vor allem die persönliche Auseinandersetzung mit dem Sektenthema. Neben den kritischen Aspekten geht es darum, auch die faszinierenden, verführerischen Seiten der verschiedenen Gruppen näher kennenzulernen und sich dabei bewusster zu werden, welche eigenen Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen eine Sekte befriedigen kann, welche Neigungen zur Abhängigkeit von Drogen oder Sekten man selbst, vor allem in schwierigen Lebenssituationen, entwickeln könnte. Denn wer wünschte sich nicht manchmal mehr Harmonie und weniger Streit mit den Mitmenschen? Wer möchte nicht gerne einmal etwas Besonderes sein und zu einer Gruppe von Auserwählten, einer Elite gehören?

Es braucht Zeit, will man sich vertieft mit den eigenen Wünschen nach Abhängigkeit auseinandersetzen. Aus diesem Grund sollte für eine Präventionsveranstaltung mindestens ein ganzer Tag zur Verfügung stehen.

Im Laufe des letzten Jahres hat infoSekta vermehrt Anfragen zu Präventionsveranstaltungen in Berufs- und Mittelschulklassen erhalten. Im Herbst 1997 führte die Organisation "wake-up" aus Basel am KV Zürich eine Veranstaltung durch, die unter anderem dem Thema Sekten gewidmet war.

Präventionsveranstaltungen mit Berufsschülern vom KV Zürich und KV Basel

Im Gegensatz zu anderen Präventionsthemen wie Drogen, AIDS, oder Gewalt waren die Voraussetzungen beim Thema Sekten anders, denn die Jugendlichen konnten, bei aller Faszination, keine Verbindung zwischen ihrem eigenen Leben und der Sektenproblematik herstellen. Diejenigen, welche sich darüber schon Gedanken gemacht hatten, waren häufig der Meinung, dass nur "dumme Menschen" in den Bann einer Sekte geraten können. Hier war der Einfluss entsprechender Spielfilme und Sensationsmedien spürbar, die meist ein sehr undifferenziertes Bild über Sekten vermitteln.

Ein primäres Ziel unserer Präventionsarbeit war es demzufolge, mittels verschiedener Informationsquellen aufzuzeigen, dass Unwissenheit schon manchem Menschen zum Verhängnis wurde, wenn er mit einer sektiererischen Gruppe in Kontakt kam. Wir zeigten den Jugendlichen deshalb eine Videoaufzeichnung ehemaliger Sektenmitglieder, die darin über ihre langsame Vereinnamung durch eine Gruppe berichten. Es beeindruckte die Jugendlichen, dass es sich bei den Personen im Film keineswegs um "dumme Menschen" handelte, sondern um solche, mit denen sie sich identifizieren konnten.

Als eine leicht gewagte, aber weitaus wirkungsvollere Methode erwies sich der Besuch bei ortsansässigen sektiererischen Gruppen. Einige kamen uns sogar entgegen und führten uns durch ihre Räumlichkeiten, bei anderen besuchten wir einfach den offiziellen Gottesdienst. Es war nicht das Ziel, diese Gruppen schlecht zu machen. Im Gegenteil, die Jugendlichen wurden aufgefordert, mit wachen Sinnen das Geschehen wahrzunehmen und auch die schönen und anziehenden Seiten zu berücksichtigen. Die Klasse wurde in Arbeitsgruppen mit spezifischen Aufgabenstellungen eingeteilt, wobei diese auf verschiedene Einzelheiten zu achten hatten. Als Vorbereitung wurden auch Fragen zur Struktur der Gruppe, zu ihrer Lebensweise, zur Toleranz gegenüber Andersgläubigen etc. ausgearbeitet. Anschliessend wurden die Mitglieder aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. Dies sollte auch als Übung dafür dienen, später bei sektiererischen Anwerbungsversuchen kritisch zu bleiben. In der anschliessenden Auswertung wurden dann die Antworten der Gruppenvertreter mit Berichten aus der Sekundärliteratur verglichen. Als die Schüler die gemachten Beobachtungen miteinander austauschten, wirkten viele betroffen. Um der am häufigsten gestellten Frage - warum tritt jemand einer Sekte bei? - nachzugehen, listeten wir die Grundbedürfnisse auf, welche zum Menschsein gehören, aber im Alltagsleben häufig keine Erfüllung finden wie Zugehörigkeit, Selbstwert, Lebenssinn, Orientierung, Spannung, Spiritualität etc. Anhand mitgebrachten Quellenmaterials wie z.B. von Flyern, die auf der Strasse verteilt werden, liess sich gut verdeutlichen, dass Sekten diese unbefriedigten Bedürfnisse nutzen und entsprechende Angebote machen. In den anschliessenden Diskussionen konnte man leicht eine Verbindung herstellen zum Umfeld, in dem sich die Jugendlichen selbst bewegten, bis hin zu persönlichen Fragen wie: Wo sind meine Bedürfnisse, meine Schwachpunkte, wo würde ich am ehesten einer Verführung nachgeben?

Neben den erwähnten Elementen einer solchen Präventionsarbeit verdient etwas hervorgehoben zu werden: wie stark das gemeinsame Arbeiten an diesen Themen die Klasse verbindet. In der anschliessenden Projektauswertung befanden die Schüler nämlich, dass sie sich besser kennengelernt und mehr Vertrauen zueinander gefasst hätten.

 

Appendix

Abgedruckt im infoSekta-Tätigkeitsbericht 1997, S. 26-28. Mai 1998. Präventationsveranstaltungen mit Berufsschülern vom KV Zürich und KV Basel.

© Mai 1998. Verein infoSekta.

 

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