Internationale Evangelische Gemeinde IEG, Zürich: Die geistlichen Krieger an der Steet Parade (Schmid, 2004)
von Georg Otto Schmid
Die Internationale Evangelische Gemeinde...
... mit Standort am Luggweg 9 in Zürich-Altstetten sorgt immer wieder einmal für Aufsehen in den Medien, sei es, weil eines ihrer Mitglieder - ein Profispieler beim Fussballclub Grasshoppers - bei Spielen ein T-Shirt mit bekenntnishaftem Aufdruck zeigt, sei es, weil eine grössere Personengruppe der Gemeinde diese bedruckten T-Shirts jeweils anlässlich der Zürcher Street Parade trägt. Dieser Event dient somit als Plattform für die missionarischen Bemühungen, wird aber durchaus auch als Werbeanlass für die Gemeinschaft genutzt.
Gründer der Bewegung der Internationalen Evangelischen Gemeinden ist Pastor Marco Antonio Rodrigues Peixoto von der Comunidade Evangélica Internacional da Zona Sul in Rio de Janeiro. Spezielles Anliegen von Peixoto und seiner Gemeinde ist die so genannte geistliche Kriegführung, eine innerhalb des charismatischen Christentums recht verbreitete, aber auch umstrittene Vorstellung. Das Konzept geht davon aus, dass einzelne Orte oder Ortschaften von einzelnen Dämonen beherrscht werden, welche die Menschen der jeweiligen Gebiete zur Sünde verführen und vom charismatischen Christentum abhalten. Die Macht dieser Dämonen muss durch Gebete - manche Autoren sprechen von einem eigentlichen "Kampfgebet"-, aber auch durch Märsche und Proklamationen der Herrschaft Jesu gebrochen werden. Erst dann kann die Missionierung der Bevölkerung erfolgreich sein. Peixoto und seine frühen Mitstreiter, zu welchen auch der Leiter der Zürcher Gemeinde Renato de V. Souza gehört, setzten dieses Konzept in Rio de Janeiro um, im Rahmen von Märschen und Kundgebungen an der Copacabana und insbesondere am Karneval von Rio. Da die Vorstellung der geistlichen Kriegführung mit ihrem ausgeprägten Dämonenglauben dem in Brasilien verbreiteten Geisterglauben nicht schlecht entspricht, fand und findet die Bewegung dort durchaus Anhänger. 1994 begann Peixoto mit der Gründung von Gemeinden im Ausland.
Im Jahr 1997 zog Renato Souza zusammen mit seiner Frau Lausir in die Schweiz, wo sie gemeinsam die Internationale Evangelische Gemeinde Zürich begründeten, welche seit 1998 am Luggweg domiziliert ist. In den folgenden Jahren wurden Aussenstationen in St. Gallen und Chur sowie im deutschen Konstanz gegründet. Die Gottesdienste der Aussenstationen finden zumeist werktags statt, so dass sie ebenfalls von der Familie Souza betreut werden können.
Die Betonung der Familie ist sehr deutlich: Renato und Lausir Souza predigen, die beiden Töchter machen Musik, führen das Sekretariat und den Buchladen. Der Sohn befindet sich zur Zeit in der Ausbildung zum Prediger. Die Gemeinde kann dementsprechend als Ausweitung der Familie Souza beschrieben werden. Manche Aktivitäten wie beispielsweise ein gemeinsamer Grilltag am Pfingstmontag in der Badeanstalt Dietlikon (Lausir Souza in der Einladung am Vorabend: "Die Männer werden Fussball spielen, die Frauen sprechen miteinander, und wir können euch besser kennen lernen") passen viel eher zu einer Familie als zu einer Gemeinde.
Deutlich ist auch das grosse Selbstbewusstsein der Souzas. Bis vor kurzem liessen sie die Wirksamkeit ihres Tuns auf der Website der Gemeinschaft (www.evangelischegemeinde.ch) folgendermassen beschreiben (sic): "Geschichte des Pastors: Pastor Renato dem V. Souza ist international bekannt. Er ist ein Mann, der eine Generation durch ein stärkendes Wort und mit Glauben geführt hat. Als Prediger und Konferenzleiter hat er in verschiedenen Ländern die Botschaft des Glaubens mit Mut und Kühnheit der aktuellen Kirche bekannt gemacht. Er ist Präsident der Evangelischen Gemeinde Zürich, die sich in einer strategischen Position in Zürich befindet. ... Gründer von diversen Kirchen in Brasilien und Europa, als Evangelist und Prediger bekannt, Pastor Renato immer von seiner Frau Lausir begeleitet, die ausgebildete Pastorin ist und Mutter von drei Kindern..."
Als eine ihrer Besonderheiten nennt die Internationale Evangelische Gemeinde den Stellenwert der Musik. Auf der Website als Ziel formuliert: "Mit feinster Musik den Allmächtigen loben!" Ein Besuch eines Gottesdienstes macht offenbar, dass das Wort "fein" im Zusammenhang mit Musik nicht zwingend auf die Lautstärke zu beziehen ist. Vielmehr scheint Gotteslob nach Meinung der Gemeinde laut sein zu müssen.
Auffällig im Gottesdienst, welcher nur von einem Teil der 400 Mitglieder im Raum Zürich besucht wird, ist der direktive Ton der Souzas, insbesondere von Renato Souza. Die praktisch durchgängig im Fortissimo gehaltene Predigt wird durch allerlei Regieanweisungen bezüglich gemeinsamer Wiederholung von Kernaussagen unterbrochen. Mag dies auch mnemotechnisch gemeint sein, dem Aussenstehenden erscheint das Verfahren als eine recht unfaire Erschleichung aktiver Zustimmung zum Gesagten, denn dieses muss gegenüber den Anwesenden persönlich wiederholt werden. Ebenso wird vorgegeben, wann welche Arme in welcher Richtung auszustrecken sind und wann man sich aus den Sitzen zu erheben hat. Insgesamt wirkt dieses Vorgehen recht manipulativ, zumindest insofern, dass abwartendes, distanziertes Dabeisein nicht möglich ist.
Die Ziele der Gemeinde fasst eine Celene auf der Website der IEG zusammen: "Wenn du ein glückliches Leben haben willst und eine gesegnete Familie, dann sind das die Waffen, die du brauchen kannst:
- Nimm Jesus als Herrn und Retter deines Lebens an!
- Liess die Bibel und gehorche
- Bette ohne aufzugeben, immer im Namen Jesus
- Habe viel Glauben
- Komm zur Kirche"
Der regelmässige Besuch der Veranstaltungen wird auch vom Pastorenehepaar angemahnt.
Am Pfingstgottesdienst ereiferte sich Lausir Souza darüber, dass zahlreiche Gemeindeglieder fehlten, manche hätten sich nicht einmal abgemeldet, was natürlich nicht akzeptabel sei. Es wird erwartet, dass sich die Gemeindeglieder abmelden, wenn sie zum Gottesdienst verhindert sind - ein weiteres Zeichen dafür, dass die Bindung der Mitglieder ans Pastorenehepaar das in Freikirchen übliche Mass übersteigt.
In der seelsorgerlichen Praxis der IEG zeigen sich Einflüsse der Wort-des-Glaubens-Lehre, die davon ausgeht, dass ein Wort, das im Glauben gesprochen wird, Realitäten schaffen bzw. sie verändern kann. So berichtete ein Gemeindeglied: "An einem Donnerstag abend haben Pastor Renato, Pastorin Lausir und die Gemeinde mit mir zusammen im Namen Jesu der Lungenentzündung und deren Folgen befohlen, den Körper meiner Mutter zu verlassen...". Renato Souza weist in diesem Zusammenhang darauf hin, wie falsch doch katholische Menschen beten würden, weil sie Gott um eine Sache bitten, statt diese von ihm zu fordern.
Deutlich wird an dem Treffen auch der ausgeprägte Dämonenglaube der Gemeinde. Ein Mitglied, das Suchtprobleme hatte, berichtete: "Da waren auch zwei Dämonen. Sie brachten mich dazu, zu trinken und Drogen zu nehmen. Ich weiss das, weil ich mich nie erinnern konnte, was ich getan hatte, wenn ich getrunken hatte. In dem Moment, als der Pastor für mich betete, kam der Heilige Geist über mich, und die Dämonen mussten sofort gehen."
Eine Art Exorzismus sollen auch die Aktivitäten der Gemeinde an der Zürcher Street Parade darstellen, auch wenn man die Lehren der geistlichen Kriegführung in der Schweiz nicht so eindeutig ausbreitet, wie es in Brasilien der Fall ist. Gegenüber Daniel Gerber von jesus.ch wird Souza aber deutlich: "Die Street Parade ist ein Werk des Teufels. Ein Altar, den er sich erhoben hat, um das Leben zu vernichten und die Leute. Damit sie keinen Ausweg haben. (...) Es gibt auch einen Fürst in der Schweiz, und der regiert auch über die Street Parade. Aber wenn die Kirche auf die Strasse geht und sich zeigt als Licht, dann wird dem Fürst die Macht genommen, und die Street Parade verliert ihre negative Wirkung." Mit dem Fürsten ist der für Zürich zuständige Dämon gemeint.
Seit nunmehr drei Jahren versucht die Internationale Evangelische Gemeinde, die Street Parade Satan und seinem Fürsten zu entreissen und sie auf diese Weise nach und nach zur Jesus-Parade werden zu lassen. Mittel hierzu ist der Auftritt als "Samba Gospler" mit Musik und Gesang, aber vor allem auch mit Transparenten und T-Shirts mit proklamativen Aufdrucken wie "Jesus liebt dich" oder - vielleicht als Folge eines Übersetzungsproblems - "Jesus ist mein Geliebter". Die Zahl der Teilnehmenden stieg dabei kontinuierlich an. Waren es an der Street Parade 2002 noch 60 Gemeindeglieder, stieg diese Zahl 2003 auf 200 und 2004 gar auf 700 Personen an, wovon 400 direkt aus dem Umfeld der Internationalen Evangelischen Gemeinde stammten, die übrigen Teilnehmenden aus anderen Freikirchen.
Fürs nächste Jahr ist eine Teilnahme mit zwei Love-Mobiles geplant, ein Ansinnen, das die Veranstalter aus gutem (Verbot weltanschaulicher Werbung generell an der Parade) und schlechtem Grund ("Null Toleranz den Intoleranten" - hier zeichnet sich gewissermassen ein clash of fundamentalisms ab) zurückzuweisen gedenken. Dass die Auftritte an der Street Parade der Gemeinde Mitglieder zuträgt, räumt die IEG selber ein, auch wenn die Zahlen bisher nicht berauschend sind. Renato Souza meinte zu Daniel Gerber von jesus.ch: "Hier in der Kirche haben wir mindestens fünf Leute, die durch die Street Parade zu uns kamen und geblieben sind."
Nicht wirklich gelungen ist die Inkulturation der Gemeinde. Renato de Souza spricht auch nach sieben Jahren Aufenthalt in der Schweiz nur wenig Deutsch und muss sich in den Gottesdiensten, aber auch bei Interviews übersetzen lassen. Die daraus folgende Betonung der portugiesischen Sprache bewirkt denn auch, dass Menschen aus portugiesisch-sprachigen Ländern wie Brasilien, Portugal und Angola unter den Mitgliedern der Gemeinde gehäuft anzutreffen sind. Der Anteil Personen deutscher Muttersprache liegt nach meinem Augenschein deutlich unter 50%. Ein Hinweis auf die noch wenig gelungene Inkulturation ist auch die Sprachgestalt der Website, wie sie sich bis vor kurzem präsentierte. Als Ziele der Gemeinde wurde u.a. genannt (sic):
"Vision der lokalen Kirche:
- Predigen vom Evangelium an alle Personen in allen Sprachen
- Restaurierte Familien
- An alle Mitglieder die Bibel lehren
- Musik in bezug auf das Haus Gottes
- Restaurieren von chemisch abhängigen Personen."
(Anm. d. Red.: Zum Zeitpunkt der Drucklegung war die Rubrik „Wer wird sind“ auf der Website www.evangelischegemeinde.ch/jesus.html under construction)
Appendix
Erschienen in: Susanne Schaaf, Mathias Mettner (Hrsg.): Religion zwischen Sinnsuche, Erlebnismarkt und Fundamentalismus. Zu Risiken und Nebenwirkungen von ICF und anderen christlichen Trendgemeinschaften. Schriftenreihe infoSekta Zürich, Fachstelle für Sektenfragen, 2004.
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