Vorwort der Stellungsnahme zu Sahaja Yoga (Zurbriggen, 2006)

Warum sich infoSekta mit Sahaja Yoga befasst...

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von Seraphina Zurbriggen


In den 80er und 90er Jahren...

... geriet Sahaja Yoga unzählige Male negativ in die Schlagzeilen, insbesondere wegen umstrittenen Aufenthalten von Kindern in speziellen Sahaja Yoga-Schulen in Italien und Indien. Trotz einiger Veränderungen in den vergangenen Jahren warnen auch heute noch die Sektenfachstellen vor allem in Österreich (1) und Frankreich (2) vor dieser Bewegung. Sahaja Yoga erscheint nach wie vor als eine Gemeinschaft mit zwei unterschiedlichen Seiten: auf der einen Seite wird eine einfach zu erlernende Meditationstechnik angeboten, um das innere Gleichgewicht und die eigene Zufriedenheit zu finden. Auf der anderen Seite steht eine spirituelle Organisation mit Abhängigkeitspotenzial, deren Leitung die weibliche Guruperson Shri Mataji Nirmala Devi inne hat.
Die Fachstelle für Sektenfragen infoSekta erhält jährlich einige Anfragen zu Sahaja Yoga. Yoga und andere hinduistische Meditationspraktiken sind im Westen sehr gefragt. Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz und Etablierung der Esoterik geht gleichzeitig ein grosser Klärungsbedarf einher, wie die verschiedenen Gruppen, insbesondere Yogaangebote wie Sahaja Yoga, im Rahmen von Spiritualität, Gesundheit und Wellness einzuordnen sind. 
Es stellt sich die Frage, wie die Phänomene und Prozesse von Sahaja Yoga heute aussehen. Ist Sahaja Yoga tatsächlich nur eine harmlose, aber wirksame Meditationstechnik, wie dies von Sahaja Yoga selbst dargestellt wird, oder handelt es sich um eine Gruppierung mit problematischen Strukturen und Prozessen? Folgende Aspekte sind bei Sahaja Yoga zu beobachten:

Meditationstechnik
Shri Mataji gilt als die Erfinderin der Meditationstechnik von Sahaja Yoga. Die Technik ist leicht erlernbar, schon bei einer ersten Anwendung sind so genannte Vibrationen und eine kühle Brise spürbar. Die Körpererfahrung der kühlen Brise wird mit dem Aufsteigen der Kundalini (3) erklärt. Wenn man die Methode beherrscht, soll eine tiefe Entspannung erfahrbar werden. Die Meditation sollte vor einem Bild von Shri Mataji stattfinden. Die Einfachheit der Meditationstechnik, wie sie von Sahaja Yoga dargestellt wird, widerspricht der hinduistischen Vorstellung von Meditation. Unserer Ansicht nach, kann die Durchführung von Meditation ohne qualifizierte Anleitung unter gewissen Umständen gefährlich sein.

Personenkult um Shri Mataji Nirmala Devi
Die gottähnliche Verehrung eines Gruppenführers kennt man aus verschiedenen sektenartigen Gruppierungen. Aber auch im Hinduismus nimmt ein Guru einen zentralen Stellenwert ein. Einige Merkmale eines Gurus sind: 1) er soll selbst Schüler eines Meisters gewesen sein, 2) er soll die heiligen Schriften, Mantras und Sanskritlehren beherrschen, 3) er soll ein untadeliges Leben führen, 4) er sucht sich seine Schüler nicht selbst, 5) er ist ein erleuchtetes Wesen ohne Begierde, Hass und Verblendung und 6) die Initiierung ist kostenlos. Es ist scheint auch im Hinduismus schwierig zu sein, zwischen den unzähligen Scharlatanen und den seriösen Gurus zu unterscheiden. Shri Mataji nimmt eindeutig die Rolle einer Gurufigur in Sahaja Yoga ein. Sie selbst erklärt ihre Erweckung zur spirituellen Mutter mit einem Erleuchtungserlebnis am 5. Mai 1970. Shri Mataji wird von ihren Anhängern „Mutter“ genannt und von vielen als Gottheit verehrt. Sie sei die Inkarnation nicht nur von Adi Shakti, sondern auch des Heiligen Geistes (Adi Shakti (4) und der Heilige Geist sind nach der Vorstellung von Sahaja Yogis identisch). 
Die gottähnliche Verehrung eines Gruppenführers, einer Gruppenführerin wird in unserer westlichen Tradition oft als „sektenhaft“ bezeichnet. Auch die Forderung nach absolutem Gehorsam gegenüber eines Gurus, wie dies Ehemalige berichten, widerspricht den modernen Vorstellungen von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Der Missionierungsdrang von Sahaja Yoga und vielen anderen hinduistischen Bewegungen stösst im Westen häufig auf Unverständnis. Shri Mataji bezeichnet es als ihre Lebensaufgabe, möglichst viele Menschen spirituell zu erwecken (5). Sahaja Yoga betont zudem immer wieder, dass die Initiierung kostenlos sei. Aussteiger berichten jedoch von grossen finanziellen Ausgaben zum Beispiel für den Bau von Ashrams oder Immobilienkäufe, von welchen Shri Mataji persönlich profitiert haben soll (6). 

Heilungsversprechen
Die Verbreitung von Sahaja Yoga soll der Welt einfach und kostenlos Frieden, Wohlergehen und Gerechtigkeit bringen. Die Meditationstechnik soll auch Krankheiten wie Diabetes, hohen Blutdruck und Depressionen heilen können. Wissenschaftliche Studien sollen belegen, dass Sahaja Yoga Symptome von Asthma und ADHS verringern könne (7). Diese Studien werden teilweise in angesehenen Fachzeitschriften publiziert, zeigen jedoch häufig keine eindeutigen Resultate (8) und sind meist von Autoren, welche selbst Sahaja Yogis sind. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive kann der Nutzen von Meditationstechniken für die Behandlung von Krankheiten nicht generell verneint werden. Die oben erwähnten Studien zeigen jedoch nicht klar auf, was den Unterschied zwischen einer Sahaja-Meditation und einer anderen Meditationsform ausmacht und welche Form bei welchen Krankheiten in welcher Weise und in welchem Ausmass effektiv sein kann. 
Psychologisch gesehen sind die Therapieversprechen nicht unproblematisch. Wenn eine Krankheit angeblich durch ein Ungleichgewicht des eigenen Energiehaushaltes, im so genannten subtilen Systems, entstehen soll und durch die Meditationstechnik von Sahaja Yoga ausgeglichen werden kann, dann müsste jede Krankheit in letzter Konsequenz als „eigenes Versagen“ oder „Unvermögen“ interpretiert werden. 

Absolutheitsanspruch und Elitebewusstsein
Gemäss Aussteigerberichten behauptet Sahaja Yoga, sie allein sei die wahre Religion und sie allein besitze die absolute Wahrheit. Die Mitglieder betrachten sich als „gerettete Familie“. Sie allein sind die spirituell Fortgeschrittenen, die Geretteten, die Engel, die Elite (9). „Es war Liebe, es war die Liebe, die MUTTER zurückliess... Sie ist die Botschaft, welche über die Welt verbreitet werden muss, welche durch den eigenen spirituellen Aufstieg verwirklicht werden muss, welche mit den Suchern geteilt werden muss, die noch darauf warten, in den Kreis unserer Kollektivität zu treten.“ (10)

Milieukontrolle
Die Sahaja Yoga Mitglieder sind meist ausserhalb der Gemeinschaft beruflich tätig. Der Einfluss auf das Privatleben der Mitglieder scheint unterschiedlich ausgeprägt zu sein. Er reicht von wöchentlichen Meditationstreffen, über Aufenthalte in Indien, Sahaja Yoga-Internate für die Kinder bis hin zu arrangierten Hochzeiten und Trennungen von Ehepartnern. In Sahaja Yoga-Schulen sollen bis zweihundert Kinder untergebracht sein. Die Schülerinnen und Schüler lernen dort neben dem regulären Lehrstoff auch täglich zu meditieren. Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Max Friedrich hält fest, dass das Meditieren sowie die lange Isolation von den Eltern in einem anderen Kulturkreis sehr problematisch für das Kindeswohl sei. 

Unsere Schlussfolgerungen betreffend Sahaja Yoga:

Die Meditationsmethode von Sahaja Yoga präsentiert sich als einfach erlernbar und scheint die Sensibilität für eigene Körperempfindungen zu steigern. Als kritisch stufen wir je­doch ein, dass die Erfahrung z.B. der kühlen Brise oder Vibration als Antwort auf alle möglichen Lebensfragen gedeutet wird. Die Meditationsmethode und deren Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Mitglieder werden unseres Erachtens von Sahaja Yoga bagatellisierend dar­gestellt.
Shri Mataji scheint einen grossen vereinnahmenden Einfluss auf gewisse Mitglieder und deren Privatleben gehabt zu haben und auch heute noch auszuüben. Eine Gurufigur beeinträchtigt dann die Freiheit und Selbstbestimmung eines Menschen, wenn sie zum inneren Führer wird und der Betroffene Entscheidungen nicht mehr ohne die Konsultation der eigenen Vibrationen bzw. der verinnerlichten Shri Mataji treffen kann. Obwohl Shri Mataji heute nicht mehr so vereinnahmend und einflussreich ist wie in früheren Jahren – sie wird am 21. März 2006 83 Jahre alt -, ist aufgrund unserer Auseinandersetzung mit der Thematik eine gesunde Skepsis gegenüber Sahaja Yoga angebracht. Es kann durchaus sein, dass Sahaja Yoga als eine reine Meditationstechnik betrieben werden kann. Jedoch sollte man als Schüler/Schülerin trotz positiver Entspannungseffekte aufmerksam bleiben, ob und wo Grenzen der Selbstbestimmung überschritten bzw. aufgelöst werden.

Fussnoten

(1) Immer wieder Konflikte mit „Sahaja Yoga“, www.presseportal.at, Stand 16.3.2005.

(2) Report to the Prime Minister, THE SECTARIAN RISK, 2004. Interministerial Mission of Vigilance and Combat against Sectarian Aberrations.

(3) Kundalini bedeutet wörtlich die „Aufgerollte“, die „Schlangenkraft“, die im untersten Chakra aufgerollt gedacht wird. Das Chakra symbolisiert gemäss der tantrischen Yogaphysiologie ein Energiezentrum. Im Allgemeinen werden sieben Chakren gezählt. Das unterste Chakra befindet sich im Beckenbereich und wird mit dem weiblichen Aspekt des Göttlichen identifiziert. Das oberste Chakra, das Scheitelchakra, wird als der männliche Aspekt des Göttlichen angesehen. Das Erwecken der Kundalini soll zur Vereinigung der beiden Aspekte und zur Ganzwerdung führen. Aus: Gurus, Meister und Scharlatane. Zwischen Faszination und Gefahr, R. Hummel,1996, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau.

(4) Shakti ist ein Sanskritbegriff und bedeutet wörtlich „Kraft“ oder „Energie“.

(5) Siehe www.sahaja–yoga.de/2003/yoga/shri-mataji.html, Datum: 1.12.2005.

(6) Siehe Aussteigerberichte unter http://www.sahaja-yoga.org, Datum: 1.12.2005.

(7) Beispiele von publizierten Artikeln sind: 1) Sahaja Yoga Meditation as a Family Treatment Programme for Children with Attention Deficit-Hyperactivity Disorder, L.J. Harrison, R. Manocha, K. Rubia, 2004, Clinical child psychology 1359-1045; 2) Making sense of meditation, R. Manocha; Medical Observer, 2004, S.40; 3) Sahaja yoga in the management of moderate to severe asthma: a randomised controlled trail, R. Manocha, G.B. Marks, P. Kenchington, D. Peters, C.M. Salome. Thorax 2002; 57: 110-115; 4) Sahaja Yoga: An ancient path to modern mental health, Adam Morgan, Transpersonal Psychology Review, 2000, 4/4.

(8) Einerseits sind die Stichproben zu klein, um Resultate generalisieren zu können. Andererseits verschwindet ein beobachteter Effekt aufgrund der Sahaja Yoga-Meditation - zum Beispiel bei der Asthma-Studie - nach zwei Monaten wieder. Thomas nimmt Bezug auf Sahaja Yoga und meint: “It is still, however, far from clear whether or not breathing exercises can improve asthma outcomes, in which groups they may be effective, or what the mechanism of effect may be.” Complementary medicine and asthma: Breathing exercises and asthma, M. Thomas, Thorax 2003; 58: 649-650.

(9) Siehe Interview in Dokumentation.

(10) Siehe Hermes, Das Magazin für Sahaja Yoga Deutschland e.V., Ausgabe 2/2005. Download unter www.sahajayoga.de/2003/downloads/hermes/2005_mai_hermes.pdf, Datum 2.12.2005. 

Appendix

© infoSekta April 2006. 

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