Templer und Rosenkreuzer: Esoterisch-gnostische Okkultgruppen (Flammer, 1996)

Eine kurze Einführung zur Dokumentation

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von Philipp Flammer


Allgemein

Die verschiedenen Rosenkreuzer-Gemeinschaften berufen sich gerne auf den mittelalterlichen Templerorden, sind organisatorisch aber überwiegend im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert entstanden. Ideologiegeschichtlich gehören sie der sogenannten "hermetischen" Denktradition an (oder heute populär auch Esoterik genannt), die ihren Ursprung im vorderen Orient der Antike hat (wie übrigens auch die Gegenströmung der Hermetik, die rationale Denktradition!) und dort vor allem im zweiten nachchristlichen Jahrhundert eine grosse Blüte erlebte.

Zu den weltanschaulichen Wurzeln

Die Hermetik sucht nach einer Wahrheit, die sie nicht kennt. Sie glaubt aber, dass jedes Buch einen Funken dieser Wahrheit enthält und dass all diese Funken irgendwie miteinander übereinstimmen (Problem der beliebigen Interpretation). Und sie geht davon aus, dass eben diese gesuchte unbekannte und unerhörte Offenbarung von einem noch unbekannten Gott und von einer noch "geheimen" und "tiefen" Wahrheit handeln müsse. Denn nur, was unter der Oberfläche liegt, könne lange unbekannt bleiben, nimmt die Hermetik an. Die gesuchte Wahrheit wird mit dem gleichgesetzt, was nicht oder in einer dunklen Weise gesagt wird und jenseits des äusseren Anscheins und des Buchstabens verstanden werden muss: Die Götter sprechen in hieroglyphischen und enigmatischen Botschaften (Eco, 1995, S.62).

Parallel und in enger Verknüpfung mit der hermetischen Vorstellung, dass alles mit allem irgendwie geheimnisvoll verbunden ist, entwickelte sich auch der gnostische Ansatz. Die Gnostik geht davon aus, dass dem Menschen eine besondere Rolle in einer sonst unbegreiflichen Welt zukommt und dass die Welt das Ergebnis eines Fehlers ist. Der Gnostiker fühlt sich fremd in der Welt, Opfer seines Leibes, den er als Grab und Gefängnis auffasst. Er, der "Pneumatiker", entwickelt dabei eine aristokratische Verachtung gegenüber der Masse der sogenannten "Hylikern", die sich dem Materiellen verschrieben hätten und für die es keine Hoffnung auf Erlösung gebe. Diesen spirituell Zurückgebliebenen wirft er vor, die Negativität der Welt nicht zu erkennen. Er erwartet ein Endereignis, das für die Welt den Umsturz, die Zerstörung, die erneuernde Katastrophe bringt ("Wendezeit", "New Age").

Gleichzeitig sieht sich der Gnostiker jedoch auch "geworfen" in diese Welt, aus der er sich befreien muss. Mit anderen Worten: Er begreift sich selber als einen Funken der Gottheit, einen Funken, der sich vorübergehend aufgrund einer kosmischen Verschwörung in der Verbannung befindet. Diesen "Gottesfunken" gilt es für den Gnostiker zur Entfaltung zu bringen und zwar einerseits durch Erkenntnis ("Gnosis") der hermetischen Wahrheit und konkret, indem er seinen "feinstofflich"-göttlichen Funken möglichst von allem "grobstofflich" Vergänglichen fernhält, löst oder reinigt. Ziel dieses spirituellen Reinigungsprozesses ist letztlich der Gottmensch, der fehlerfreie und unsterbliche Übermensch. In der gnostischen Weltanschauung paaren sich so also radikale Weltverachtung und Kulturkritik mit elitären Überlegenheitsvorstellungen (Eco, 1995, S.68 f).

Eine hermetisch-gnostische Weltanschauung wie die der Rosenkreuzer ist meist nicht leicht durch- oder überschaubar und durchdrungen von Gerüchten, Legenden, Mythen, analogischen Mutmassungen, oft verschwörerischen Verdächtigungen und dramatischen Prophezeiungen. Eine ideologisches Labyrinth also, in dem sich nicht nur gewöhnliche Mitglieder, sondern auch Kaderleute so hoffnungslos verstricken können, dass ihnen die Kontrolle über die Ereignisse sehr leicht verloren gehen kann – mit manchmal tragischen Folgen. Der Roman von Umberto Eco (1989), Das Foucaultsche Pendel – vier Jahre vor dem Drama um die esoterisch-gnostischen Sonnentempler erschienen – schildert in eindrücklicher Weise und gut recherchiert, zu welchen Ereignissen solche Weltanschauungen gruppendynamisch anleiten können. Auch in seiner fiktiven Möglichkeitsdarstellung ist Eco zu einem dramatischen Schlusspunkt gekommen. Allerdings hat ihn dann die Realität bei weitem übertroffen.

Das Organisationsprinzip

Hermetisch-gnostische Gruppen sind klassische Initiationsgruppen: Die heilbringende Erkenntnis ("Gnosis") des Geheimnisses der Welt erlangt der suchende Schüler nur von einem eingeweihten Meister, und auch von diesem nur stufenweise, unter bestimmten Bedingungen ("Reife", "Berufung") und gemäss bestimmter Rituale (Initiation). Diese Einweihungen in verschiedene Erkenntnisstufen, die den Gruppen oft eine logenartige Organisationsstruktur verleiht, verpflichten die Schüler gewöhnlich zu strikter Geheimhaltung ("Arkandisziplin"). Initiationsgrade und Arkandisziplin sind die grundlegenden Merkmale esoterisch-gnostischer Okkultgruppen, wie sie heute in den verschiedenen Varianten in Erscheinung treten. Sie können damit ein verschworenes und geheimbündlerisches Milieu schaffen, in dem für den einzelnen sehr beengende und stark kontrollierende Regeln gelten.

Literaturhinweise

Eine Sammlung von Quellentexten zur Hermetik bietet:
Michael Frensch (Hg.),1991. Esoterik. Von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Lesebuch. Piper Verlag : München, Zürich.

Eine sprachwissenschaftliche  Auseinandersetzung mit dem hermetischen Ansatz:
Umberto Eco, 1995. Die Grenzen der Interpretation. dtv wissenschaft : München. (v.a. S.59-138)

Oder leichter lesbar in Romanform:
Umberto Eco, 1989. Das Foucaultsche Pendel. Carl Hanser Verlag: München, Wien.

Und aktuell:
Strohm, Harald, 1997. Die Gnosis und der Nationalsozialismus. Suhrkamp Verlag : Frankfurt a.M.
TANGRAM, Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Nr. 6, März 1999. Religion und Esoterik auf Abwegen? Religion et ésotérisme à la dérive? Zu bestellen bei: EDMZ, Best. Nr.: 301.300.6/99, 3003 Bern.

Appendix

Philipp Flammer, Verein infoSekta, April 1996 (rev. 7.99). 

 

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